Eine Analyse des Artikels von Ingrid Berg
von Saskia Kewitz
Ingrid Bergs Aufsatz, veröffentlicht im HTK-Jahrbuch 2018
Eine Analyse 31.08.2019
Wie eine Historikerin es im Jahre 2019 schafft, den Bluthund Hitlers – Manfred Roeder – in der Öffentlichkeit eines Jahrbuchs des Hochtaunuskreises als harmlosen und sogar engagierten Bürger der Gemeinde Glashüttens darzustellen
Über Ingrid Berg, Autorin des Roeder-Aufsatzes
Frau Ingrid Berg ist Leiterin des Historie-Arbeitskreis-Glashütten, sie lebt auch dort und ist politisch aktiv.
Im Jahre 2017 verfasste sie einen Aufsatz[1] über Manfred Roeder, den Bluthund Hitlers, der sich nach Kriegsende und dem Entkommen einer gerechten Strafe mithilfe ehemaliger NS-Kollegen ab 1963 im kleinen Dorf Glashütten versteckte. Dort lebten er, seine Frau und seine Tochter als geachtete Mitbürger bis zu ihrem Tod[2] – die Tochter lebt heute noch in Glashütten.
Über den Aufsatz und seine Wirkung
Wer Bergs Artikel liest und bis dahin nichts über Manfred Roeder wusste, beendet die Lektüre mit dem Gedanken, dass im Dritten Reich und später in Glashütten ein ganz normaler Mensch ganz normal seine Pflichten (und mehr) erfüllt hatte.
Unter anderem zitiert Berg aus einem kritischen Aufsatz von Heinrich Grosse[3] – jedoch jeweils nur Bruchstücke. Die Zitate bewirken, dass der Grosse-Aufsatz als LEGITIMATION ihrer Ausführungen dient. In Wahrheit ist er genau das Gegenteil. Da Herr Grosse mittlerweile verstorben ist, kann er sich dagegen nicht mehr wehren.
Ich empfehle jedem, beide Aufsätze (Bergs UND Grosses) aufmerksam zu lesen und für sich selbst zu beurteilen, welche Wirkung jeweils erzielt wird.
Bergs Aufsatz ist immer noch öffentlich erhältlich und wird sogar auf der Webseite der Gemeinde Glashüttens genannt.
Manfred Roeder wird auf der Gemeindeseite Glashüttens als „Kulturelle Persönlichkeit“ genannt.
Jedem Negativen ist ein Positives gegengesetzt – jedem Versuch, ein diktatorisches und mörderisches Regime zu etablieren oder im Nachhinein zu entschuldigen, widersprechen aufgeklärte und selbstbewusste Bürger.
Manche lassen dafür ihr Leben, wie die Mitglieder der „Roten Kapelle“ – die es jedoch in der Form, die Roeder inszeniert hatte, nie gegeben hatte. Es war eine bunte Mischung von mutigen Menschen, die dem Terrorregime etwas entgegensetzen wollten, nicht mehr und nicht weniger.
Über Ingrid Bergs Motivation
Berg schreibt, dass nach einem Anruf einer Redakteurin und Erscheinen des Filmes „Verräterkinder“ Ende 2014 mit einer kurzen Passage über Manfred Roeder ihr „Interesse insbesondere an seinem ehrenamtlichen Wirken in Glashütten wuchs“.
Sie beschließt, sich mit den bisher unsortierten Akten des Gemeindearchivs zu beschäftigen, und recherchiert. Die zutage geförderten Fakten will sie präsentieren, um darzulegen, wie ein Mensch mit solch einer Vergangenheit als geachteter und engagierter Pensionär sogar im Gemeindevorstand mitwirken kann und darf.
Sie weiß, dass er zu den „Furchtbaren Juristen“ der NS-Zeit gehörte – und schreibt, dass es skandalös ist, in welchem Ausmaß sich diese „Funktionselite“ reinwaschen konnte.
Sie möchte darstellen, wie ein Todesrichter der NS-Zeit in einer kleinen Gemeinde im Hochtaunus eine Rolle in der Lokalpolitik spielen kann, ohne dass seine Vergangenheit dabei irgendwie irgendwem aufstößt.
Aber jetzt: Ausdrücklich möchte sie die Rolle des „Bluthundes Hitlers“ und deren Beurteilung nach den „heutigen ethischen Maßstäben“(!!!) ausklammern – als ob sich die Maßstäbe, für welche Aktionen man Menschen zum Tod verurteilen darf, in den letzten 75 Jahren geändert hätten. Anhand dieser Aussage kann man bereits erkennen, dass es wohl Unterschiede geben muss zwischen „damaliger“ und „heutiger“ Ethik?
Frau Berg legt dar, dass es ihr in ihrem Aufsatz um „das Funktionieren einer kleinen Kommune“ in der 1960er Jahren geht“ – und darum, ob die Vergangenheit dieses Blutjuristen des Dritten Reiches für seine Arbeit in der Nachkriegsgesellschaft irgendeine Rolle spielte.
Unerheblich war da anscheinend für die damaligen Politiker Glashüttens seine Vergangenheit.
Wichtig war und ist nur: Hat seine Arbeit der Gemeinde Glashütten genutzt oder geschadet?
Dieser Ansatz wirkt auf mich höchst pragmatisch, aber auch erhellend.
Es ist anscheinend egal, WER da in der Bürgervertretung eines Dorfes sitzt und wirkt. Es interessiert nur, WIE er seine Arbeit macht.
Hat der NUTZEN einer Person höhere Priorität als deren PERSÖNLICHKEIT und TATEN?
Diese Einstellung lässt sich bereits bei den Amerikanern feststellen – sie waren in ihrer Furcht vor dem Kommunismus bereit, über Roeders PERSON hinwegzusehen, um ihn zu NUTZEN. Aber muss man das heute (Jahrbuch 2018) weiterbetreiben? Warum?
Ingrid Bergs Aufsatz zeigt Roeder zum einen als geachtetes Gemeindemitglied, welches ehrenamtlich zum Wohle aller wirkte. Zum anderen macht sie deutlich, dass der Film „Verräterkinder“ unwahre Aussagen enthält. Zum Dritten erklärt sie, welches Verhältnis zu Roeder der damalige Bürgermeister Gottschalk hatte.
Über Manfred Roeder – die Tatsachen
Manfred Roeder war ein sadistischer, unauffälliger Mann, anscheinend nicht überragend begabt oder herausragend in seinem Können, aber geschmeidig und willig, in den vorhandenen Strukturen aufzusteigen.
Nach dem, was heute über ihn bekannt ist[5][6], hat er es geschickt verstanden, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel optimal auszunutzen, um als pflichtgetreuer Bürger dazustehen, der lediglich tat, was er tun musste – dem Vaterland zum Wohle.
Seine eigentliche Persönlichkeit trat deutlich zutage, als ihm die Macht über Leben und Tod gegeben wurde – ausdrücklich ihm, was schon einiges über ihn aussagt.
Der Titel „Bluthund Hitlers “ kam nicht von ungefähr, Personen wie er waren für das Terrorregime Hitlers unabdingbar.
Nach dem Krieg gelang es ihm geschickt, sich durch brisante Dokumente, die sich in seiner Hand befanden, der verdienten Strafe zu entziehen
1963 versteckte er sich und seine Familie im Dorf Glashütten. Es gelang ihm abermals, sich in die dortigen politischen Strukturen zu integrieren – in den Gemeindevorstand und dann sogar in stellvertretender Arbeit für den Bürgermeister Gottschalk.
Anscheinend hat er es auch hier in Perfektion geschafft, als wertvoller und unbedingt benötigter Mitbürger zu erscheinen – bis heute noch.
„Unauffällig, bescheiden und fleißig“ wirkte Roeder in Glashütten – und machte sich abermals unentbehrlich.
Als nach dem SPIEGEL-Artikel[7] im Mai 1968 die Wahrheit über Manfred Roeder ans Licht kam und Nachfragen gestellt wurden, nahm BM Gottschalk dessen Person vehement in Schutz. Roeders Person und seine Mitwirkung im Gemeindevorstand wurden weiterhin nicht in Frage gestellt.
Bis zu seinem Tode 1973 lebte er als geachteter Mitbürger in Glashütten, und er und BM Gottschalk werden dort sogar heute noch von einigen Bürgern verteidigt und geschützt. Gottschalk bekam knapp 40 Jahre nach seiner Tätigkeit als Bürgermeister sogar noch seine eigene Ehrentafel im Wald. ………………………………………
Kritische Bemerkungen zu
Ingrid Berg, Jahrbuch 2018 des Hochtaunuskreises:
„Manfred Roeder in Glashüttens Kommunalpolitik
Kommunalpolitik mit NS-Vergangenheit?
Manfred Roeder als Beigeordneter in Glashütten“
Der Anlass der Recherchen (Seite 205)
Berg erhält einen Anruf einer Regisseurin, sie möchte Auskünfte über Roeders Wirken in Glashütten, ein Film ist in Arbeit. Berg kann ihr nicht helfen. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 205
Der Film stammt von Christian Weisenborn, einem der Söhne von Günther und Joy Weisenborn. Beide waren Angeklagte der von den Nazis erfundenen „Roten Kapelle“, Roeder war der von Hitler eingesetzte Anklagevertreter. Gewünschte und gelieferte Ergebnisse der Anklagen: Todesstrafen. Besonders Günther Weisenborn litt Zeit seines Lebens unter den Hinrichtungen und der immer weiter wiederholten Verleumdung seiner Freunde auch nach Kriegsende.
Nach Fertigstellung des Films „Verräterkinder “ beschließt Berg nach eigener Aussage, ihr erwachtes Interesse insbesondere an Roeders ehrenamtlichen Wirken in Glashütten zu befriedigen. „… hier der geachtete und engagierte Pensionär, dort der Mittäter an NS-Verbrechen. Wie geht das in ein und derselben Person? Auf letztere Frage eine befriedigende Antwort zu finden hat sich für mich als unmöglich erwiesen.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 205
Sie findet durchaus eine befriedigende Antwort, wie man einen ehemaligen Blutjuristen des Dritten Reiches erfolgreich eingemeinden und nutzen kann, ohne sein Wirken allzu genau betrachten zu müssen – indem man sich damals NICHT mit seiner Vergangenheit beschäftigt, auch als diese Vergangenheit ab Mai 1968 durch die Presse geht, und in Glashütten der Bürgermeister explizit zu Roeder befragt wird.
Es geht Berg „ausdrücklich nicht um eine Biographie Roeders, nicht um seine Rolle im verbrecherischen Apparat des Dritten Reiches und erst recht nicht um eine Beurteilung seines Handelns nach heutigen ethischen Maßstäben.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
Das ist verwunderlich – wie kann man sich einerseits fragen, wieso der Bluthund Hitlers in Glashütten ein geachteter Bürger sein konnte, sich andererseits aber NICHT mit dieser düsteren Vergangenheit auseinandersetzen wollen? Dies ist aber gleichzeitig die Antwort auf das Phänomen: Man kann solch einen Menschen nur achten und wertschätzen, indem man seine Vergangenheit komplett ausblendet. Bergs Frage beantwortet sie also direkt selbst.
„Heutige ethische Maßstäbe“ – sind sie andere als die damaligen? War es damals RICHTIG, Todesurteile auszusprechen? Ihre Differenzierung lässt es vermuten.
AUSDRÜCKLICH KEINE Biographie? Und dennoch reicht Berg ausgewählte biografische Daten zu Roeders Leben.
„Es geht vielmehr um die Rolle, die Manfred Roeder in der Glashüttener Lokalpolitik zugekommen ist. Es geht um das Funktionieren einer kleinen Kommune in den 1960er Jahren und darum, ob und wie die NS-Vergangenheit Roeders dabei eine oder eben keine Rolle spielte.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
Es ist eine bekannte Tatsache, dass Roeders Vergangenheit in Glashütten KEINE Rolle spielte. „Kuriose“ Entwicklungen lassen sich in jenen Jahren beobachten – das Erstellen einer Einheitsliste und eine Kommunalwahl, die erfolgreich angefochten wird. Geschickte Manipulationen der Bürgerschaft finden statt. Die Rolle Roeders wird leider NICHT offenbart. Definitiv sind hier noch weitere Nachforschungen notwendig.
Einführung (Seite 206)
Diese Einführung listet ausgewählte Details aus Roeders Biographie auf – obwohl dies ausgeblendet werden sollte.
„Roeder … nahm als Freiwilliger noch am Ersten Weltkrieg teil, wo er bleibende Verletzungen davontrug.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
Ist das für Roeders Wirken in Glashütten von Belang? Nein. Zeigt dies, dass Roeder freiwillig für das Vaterland gelitten hat? Ja. Also doch ehrenhaft?
„1942 wurde er als Ankläger für das Verfahren gegen die „Rote Kapelle“… abgeordnet. Aufgrund von Roeders Anklageschriften und seiner Anträge … sind 45 Männer und Frauen … hingerichtet worden. Die näheren Umstände … sind ausführlich im Internet nachzulesen.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
DIESE grausigen Details sollen sich die Leser bitte selber zusammensuchen.
„Roeder geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, … Anfang 1949 kam Roeder auf freien Fuß … wurde der Staatsanwaltschaft Lüneburg übergeben.. 1951 wurde das Ermittlungsverfahren gegen Roeder eingestellt, da „in keinem Fall eine Rechtsbeugung oder sonstige Straftat nachgewiesen werden können „. Der Schlussbericht dieses Verfahrens wurde als „geheim“ erklärt und erst 1987 zur Einsicht freigegeben.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
Hier möchte Berg gerne ausführlicher werden – immerhin geht es um Roeders Straffreiheit. Dass Roeder von NS-Kollegen unterstützt wird und auch Erpressung im Spiel ist, wird hier nicht erwähnt. Stattdessen erfahren wir von einem eingestellten Verfahren. Ein unschuldiger Mann?
„Eine heute ausführlich recherchierte Tatsache ist, dass Manfred Roeder nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs sowohl von den Amerikanern als auch von der Vorläuferorganisation des BND … gebraucht wurde. Da Mitglieder der „Roten Kapelle“ wegen Landesverrats und Sowjetkontakten verurteilt worden waren, galt Roeder als Experte … insbesondere mit Blick auf kommunistische Spionagetätigkeiten.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 206
Tatsächlich ist ausführlich recherchiert worden: Roeder hatte seine Erfindung eines sowjetischen Spionagerings geschickt lanciert, gab dubiose Gerüchte weiter und präsentierte sich dann als Retter in der Not. Dies erwähnt Berg nicht – sie lässt stehen, dass Roeder „gebraucht wurde“.
„Er selber konnte dieses Image ausnutzen,publizierte z.B. 1952 die Broschüre „Die rote Kapelle – Europäische Spionage“ und hielt über dieses Thema Vorträge bei Veranstaltungen…: Noch in den 50er Jahren glaubte man an eine Nachkriegsorganisation der „Roten Kapelle“ und an deren Agententätigkeiten, die den Westen bedrohe.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 207
Er „konnte“ dieses „Image“ nicht nur ausnutzen – er hatte es eigens kreiert, UM es auszunutzen. Das erwähnt Berg jedoch nicht. Roeder publizierte gezielt Lügen und berief sich dann auf ebendiese. WARUM glaubte man noch in den 50er Jahren an eine Nachkriegsorganisation der „Roten Kapelle“? Weil Roeder deren Existenz eindringlich behauptete.
VIEL, VIEL Informationen über Roeders Tätigkeiten während und nach dem Krieg. WAS haben diese Informationen denn zum eigentlichen Thema beizutragen – zu seiner Rolle in der Kommunalpolitik Glashüttens? Gar nichts. Sie schaffen aber ein gewisses Bild des Mannes – das eines nicht bestraften, nicht entnazifizierten, pflichtbewussten, hilfreichen Menschen, der im Kampf gegen die kommunistische Gefahr half. Die Wahrheit – dass er nämlich Regimegegner foltern und töten ließ, kommt hier nur am Rande zur Sprache.
Und JETZT erst geht es weiter mit den eigentlich versprochenen Informationen über Roeder in Glashütten:
Was konnte man in Glashütten über .. Dr. Roeder … wissen? (Seite 207)
„Roeder war noch Ende Januar 1945 zum „Generalrichter“ ernannt worden… Da er nicht Mitglied der NSDAP gewesen war, also auch nicht entnazifiert wurde, und alle Anklagen nach 1945 gegen ihn eingestellt worden waren, galt er als nicht vorbestraft, also unbelastet.Wie viele andere Juristen hatte er ein Recht auf Wiedereinstellung und durfte sich „Generalrichter zur Wiederverwendung“ nennen.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 207
Durchaus war Roeder aber Mitglied in anderen NS-Vereinigungen – von 1924 – 1928 und von 1931 – 1933 war er Mitglied des Stahlhelms und von 1928 – 1931 Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. (Grosse, Fußnote 8) Dies erwähnt Berg jedoch nicht.
Durch wen und warum wurde Roeder entlastet? Das führt Berg nicht aus. „Wichtigster Entlastungszeuge für Roeder war ausgerechnet der damalige Vorsitzende des Reichskriegsgerichts beim Prozess gegen die »Rote Kapelle«, Dr. Kraell“(Grosse). “ In Lüneburg führte – unter Leitung des Oberstaatsanwaltes Wilhelm Kumm – der Staatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Finck die Untersuchungen im »Ermittlungsverfahren gegen Roeder wg. Aussageerpressung« durch..Wilhelm Kumm war schon von 1931 bis 1943 Oberstaatsanwalt in Lüneburg gewesen und hatte im August 1945 den Posten erneut erhalten. Hans-Jürgen Finck, 1939 mit 28 Jahren zum Staatsanwalt ernannt, wurde ab März 1946 wieder als Staatsanwalt beschäftigt.“ (Grosse). Altnazis entlasten Altnazis.
„Andere Juristen und auch er hatten ein Recht auf Wiedereinstellung“ – WER hat WARUM dieses Unrecht zu Recht werden lassen?
Frau Berg führt aus, dass er den Titel „Generalrichter zur Wiederverwendung“ führen durfte, den Teil des Titels „zur Wiederverwendung“ aber „nachweislich nie benutzt“ hätte. Wir können also daraus schließen, dass er sich zumindest hin und wieder als Generalrichter bezeichnete? Und sich von seiner NS-Vergangenheit distanzierte?
Professor Tuchel hat in seinem Text zu Frau Bergs Artikel dargelegt, dass Roeder noch 1969 mit Generalrichter a.D. unterzeichnet hat und so auch im Telefonbuch geführt wurde.
„Allgemein zugängliche, kritische Veröffentlichungen zu Roeders Vergangenheit gab es zu dem Zeitpunkt (1963) nicht.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 207
Das ist nicht wahr.
„1951 war in der „Lüneburger Landeszeitung“ über die Einstellung des Verfahrens gegen Roeder zu lesen, mit dem Tenor der deutlichen Parteinahme für Roeder. Ebenso hatte die FAZ 1951 Roeders Darstellung der Mitglieder der „Roten Kapelle“ als Hochverräter übernommen. Nach den Entscheidungen der Lüneburger Staatsanwälte konnte die Berichterstattung auch gar nicht anders ausfallen. Die Illustrierte „Der Stern“ begann am 6. Mai 1951 einen neunteiligen Bericht über das sowjetische Spionagenetz, u.a. der „Roten Kapelle“, und auch dieser Text fußte auf den Aussagen Roeders. 1952 publizierte er selbst die 36-seitige Broschüre „Die Rote Kapelle…“ mit deutlichen Hinweisen darauf, dass weiterhin Nachfolgegruppen der „Roten Kapelle“ am Werk seien und mit der Sowjetunion zusammenarbeiteten.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 207/208
Wir lesen über die Einstellung von Verfahren und die öffentliche Berichterstattung, über deutliche Parteinahme FÜR Roeder.
Wer aufmerksam liest, kann hier erstmalig erkennen, dass Roeder selbst ein Nachkriegswirken der „Roten Kapelle“ erfunden hat.
Schlussstrichmentalität der Nachkriegszeit (Seite 208)
„Weder die Nachkriegsjustiz noch die Historiker beschäftigten sich mit einer Aufarbeitung, zumal wichtige Akten damals noch gar nicht zugänglich waren.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 208
Heute aber gibt es Fakten. Warum werden sie heute hier nicht genannt?
„In der Nachkriegszeit betrachtete man die Tätigkeit der „Roten Kapelle“ weithin nicht als Widerstand gegen ein Terrorregime, sondern akzeptierte die Todesurteile als wegen Spionage, Landes- und Hochverrats.“ – Fußnote Berg: „Erst 2009 wurden die Urteile gegen die Mitglieder der Roten Kapelle aufgehoben, und zwar pauschal, ohne Einzelfallprüfung“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 208
Es folgt keine Klarstellung – Berg lässt die unwahren Verleumdungen stehen. Heute ist erwiesen, dass sie erfunden waren. Sie behauptet eine „pauschale Aufhebung ohne Prüfung der Sachlage“ – was nicht wahr ist. Der Eindruck entsteht, dass hier pauschal einfach freigesprochen wurde, ohne nähere Beschäftigung mit der Sachlage.
„Die von den Häftlingen intern für Roeder benutzte Bezeichnung „Bluthund Hitlers“ wurde erstmals 1968 vom „Spiegel“ zitiert“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 208
Dies ist falsch. Siehe hierzu den Aufsatz von Prof. Dr. Tuchel. Sie wurde schon früher benutzt.Der Charakter Manfred Roeders war gut bekannt. Man hätte ihn kennen können.
Die politische Situation in Glashütten vor 1960 und bis 1964 (Seite 208)
Berg berichtet ausführlich über die Beliebtheit des ehrenamtlichen Bürgermeisters Gottschalk und zählt die Gründe hierfür auf. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 209/210
Warum betont dies Berg derart? Was hat das mit Roeders Wirken zu tun? Nun – eben dieser Bürgermeister arbeitete zunächst mit Hans Richter (genannt „Panzer-Richter“) als Erstem Beigeordneten zusammen, danach dann auch mit Manfred Roeder. Beide waren als Nazis in Glashütten wohlbekannt, wie Zeitzeugen berichten.
1964 besteht die Gemeindevertretung aus 9 Mitgliedern, diese verabschieden eine Liste für den Gemeindevorstand, der von ihnen zu wählen ist. Der Gemeindevorstand muss NICHT von der Bürgerschaft gewählt werden. „Wichtig zu wissen“ … Der Jurist Manfred Roeder wird als weiterer Beigeordneter gewählt.,
Der Bürgermeister hat hierbei kein Stimmrecht. Er wird nun hauptamtlich Bürgermeister. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 210
Warum betont Frau Berg, dass Gottschalk sich nicht Roeder ausgesucht hat? Es könnte dazu dienen, einen Satz im Film Christian Weisenborns als unwahr darzustellen und mit dem Schlusssatz des Aufsatzes seinen Film und seine Aussagen als Ganzes ins Abseits zu stellen.
„Zurücknahme nicht möglich und nicht erforderlich…“ (Seite 211)
28.01.1965 – Die Wahl Roeders erregt Aufmerksamkeit im Landratsamt Höchst, ein Stragregisterauszug zu Roeder wird angefordert. Roeder war 1961 in Neetze wegen Nötigung verurteilt worden, seine Berufung wurde verworfen. Aber für Glashütten ist dies ohne Bedeutung, man beruft sich auf das Hessische Beamtengesetz. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 211.
Schon im Januar 1965 scheint Roeders Rolle im Dritten Reich also doch nicht so allgemein unbekannt zu sein. Aber egal – in Glashütten richtet man sich gesetzestreu nach dem HBG und forscht nicht weiter nach.
Tätigkeiten Roeders als Mitglied des Gemeindevorstands zwischen 1964 und 1968 (Seite 211)
Roeder tritt als einfacher Beigeordneter wenig in Erscheinung, er liefert „fachlich fundierte Formulierungshilfen“. 1966 übernimmt Roeder die Vertretung des Bürgermeisters. Berg betont, dass dies durch den Gemeindevorstand bestimmt wurde, „der gesetzlich vorgegebene Verfahrensablauf“, „keine einsame Entscheidung Gottschalks“. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 211
Hier geht es einmal mehr um Bürgermeister Gottschalk, der hier „freigesprochen“ wird – nicht ER hat Roeder zu seinem Vertreter bestimmt, sondern der Gemeindevorstand. Und Roeder hat durchaus seine Finger in der Politik – er ist Beigeordneter des Bürgermeisters, ihm zur Seite gestellt.
Im Januar 1967 spendet „Roeder als einer der ersten Bürger“ für ein neues Feuerwehrfahrzeug. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 212
Spenden schaffen natürlich weitere Akzeptanz. Dies ist eine geschickte Taktik, die Roeder beherrscht. Warum betont dies Berg derart? Was hat das mit Roeders Wirken in der Kommunalpolitik zu tun? Nichts. Es ist Imagepflege.
Im August 1967 wird er als Ortsgerichtsschöffe gewählt. … Am 19.10.1967 erhält er von der Gemeinde Prozeßvollmacht in einem Konkursverfahren. … Er unterzeichnet ausschließlich mit „Dr. Manfred Roeder“ oder mit Kürzel“. Die Bezeichnung „Generalrichter a.D.“ oder „Richter a.D.“ findet sich… niemals von ihm selbst.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 212
Dies ist nicht wahr, wie Herr Prof. Tuchel aufzeigt.
Das Jahr 1968 (Seite 212)
„Eine entscheidende neue Situation ergibt sich im Jahr 1968. Ab dem 20.05.1968 startet im SPIEGEL die zehnteilige Serie zur Geschichte des „Spionagerings Rote Kapelle“. Der achte Teil … beschäftigt sich ausführlich mit der Person des Manfred Roeder und seinen Tätigkeiten“. Auch wenn in diesem Bericht Roeder als zynischer, brutaler und kalter Vertreter der Anklage bezeichnet wird, gibt es viele Hinweise auf ein gewisses Verständnis des Autors für die Lage Roeders, denn von Hitler waren ausschließlich Todesurteile für alle Angeklagten vorgeschrieben worden, und dieser Erwartung war Roeder in seinen Anklageschriften noch nicht einmal nachgekommen.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 212
Die „Lage Roeders“ wurde diesem nicht aufgezwungen – er hatte sich gezielt höher und höher gedient und füllte seinen Posten diensteifrig und zur vollen Zufriedenheit Hitlers aus. DESHALB sollte ER, nur ER, nach dem Willen Hitlers der Ankläger sein – er hatte sich seinen Ruf erworben. Und selbstverständlich kam Roeder den Erwartungen voll und ganz nach – aus ganzem Herzen und mit voller Überzeugung.
„In Glashütten überschlagen sich die Ereignisse … am 8.7.1968 war im SPIEGEL die entsprechende Fortsetzung erschienen. Am 10.07. fragt Landrat Dr. Jost telefonisch bei Bürgermeister Gottschalk in Sachen Roeder nach. … bereits am 12.7. erstattet Gottschalk Landrat Dr. Jost einen schriftlichen Bericht. Man meint in diesem schnellen Ablauf der Ereignisse förmlich ein Erschrecken zu spüren über Dinge, die bisher nicht wichtig genommen wurden, eventuell sogar unbekannt waren. … Bürgermeister Gottschalk gibt die Ergebnisse seines Gesprächs mit Roeder so wieder, wie letzterer sie formuliert hat. … Bürgermeister Gottschalk beendet das Schreiben an Landrat Dr. Jost mit dem Absatz: „Es besteht m.E. kein Grund besorgt zu sein. Mir wie auch der Öffentlichkeit steht kein Recht zu, die angesehene Person durch die bis heute in keiner Weise belegbaren Anschuldigungen mit irgendwelcher Manipulation abzuwerten.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 212
Dieser Teil des Aufsatzes ist höchst interessant und gut recherchiert.
Roeder diktiert Gottschalk die Antwort an den Landrat, Gottschalk lässt sich (bereitwillig?) vor Roeders Karren spannen. Der Bürgermeister/Roeder behauptet, „niemandem stehe ein Recht zu“(ach ja?), „die angesehene Person“ (ja, Roeder hat es geschafft, er ist tatsächlich in Glashütten angesehen) „durch die bis heute in keiner Weise belegbaren Anschuldigungen“ (im SPIEGEL stehen die Belege, aber was soll’s?) „mit irgendwelcher Manipulation abzuwerten“ (wer hier eindeutig manipuliert ist Roeder).
„Die Veröffentlichung im SPIEGEL scheint in Glashütten entweder gar nicht wahrgenommen worden zu sein oder wurde schnell wieder ad acta gelegt. Auch die örtliche Presse … geht mit keinem Wort auf den SPIEGEL-TEXT ein.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 213
Auch dies ist aufschlussreich – waren Bürger interessiert, aber in der Minderheit? Hat es tatsächlich niemand interessiert? Warum nicht? Hierzu wäre weiter in den Akten des Gemeindearchivs nachzuforschen.
Kommunalwahlen 1968 in Glashütten (Seite 213)
20.10.1968 – „Um einer beginnenden Politisierung und auch damit auch Polarisierung entgegenzuwirken“, verabschieden der Bürgermeister und 19 Personen, unter anderem Roeder, eine Einheitsliste zur Kommunalwahl am 20.10.1968. Das Parlament wählt Roeder zum Wahlleiter, somit kann er nicht als Gemeindevertreter gewählt werden. Jedoch wird er zum ersten Beigeordneten gewählt. Auf der Liste stehen 16 Kandidaten, die ersten neun auf der Liste Genannten bilden automatisch das Parlament, die übrigen kommen in den Gemeindevorstand. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 213
Die Begründung für diese „Kuriosität“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Es ist keine „Politisierung“ gewünscht bei der anstehenden Wahl. Was ist denn eine Wahl, wenn nicht politisch?
Und: Eine „Polarisierung“ ist ebenfalls nicht erwünscht. Definition Polarisierung: „Polarisierung trägt einerseits zur Verdeutlichung der Unterschiede bei, also zu ihrer leichteren Verständlichkeit, und verstärkt andererseits die politischen Spannungen.“ (Wikipedia). Sie entsteht, wenn es zwei oder mehrere Positionen gibt, zwischen denen man sich entscheiden muss.“
Genau DAFÜR sind in einer demokratischen Gemeinschaft Wahlen da – die Wähler sollen zwischen den gebotenen Programmen auswählen. In Glashütten wird mit der Einheitsliste die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen verhindert und die „Regierung“ auf einen kleinen internen Personenkreis begrenzt. Der Bürgerschaft wird KEINE Wahl gelassen. Sie kann nur wählen, wer von dem internen Kreis, bestehend aus Gottschalk und 19 anderen Bürgern, zum Mitglied der Einheitspartei erkoren wurde – oder die Stimme verweigern. Die Wahlbeteiligung ist auffällig niedrig. Die neun Mitglieder der neuen Gemeindevorstandes sind vorbestimmt. Diese „Wahl“ ist eine Farce, ein raffiniertes Konstrukt mit dem Anschein einer demokratischen Entscheidung. Wer hatte diese äußerst kreative Idee? Das wäre interessant zu wissen. Und Roeder ist mittendrin.
Die Wähler durchschauen das Spiel, „die Wahlbeteiligung ist mit 67 % nicht besonders hoch“, es gibt viele „ungültige Stimmen“ (Nein-Stimmen sind auch „ungültig). Die Wahl wird durch einen Bürger angefochten und am 6.1.1971 für ungültig erklärt. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 214
Es gibt also ein „Spiel“. Und weshalb ist der Bürgermeister Gottschalk dennoch ehrenwert, seine Beigeordneten auch?
„Kurios“ – so der Kommentar der Frankfurter Rundschau
Die Mitglieder des Gemeindevorstands, der nach der Kommunalwahl von den Gemeindevertretern gewählt wird, müssen selber nicht Gemeindevertreter sein.
Es werden zur Wahl des Vorstands nun ZWEI Listen mit je sechs Personen vorgelegt – die notwendige 7. Person ist jeweils nicht auf der Kandidatenliste der „Einheitspartei“. Die 7. Person der Liste 1 ist Roeder. „Warum nach der großen Einigkeit beim Aufstellen der Einheitsliste für die Wahl des Gemeindevorstands zwei Listen erstellt worden waren, die sich nur jeweils durch die Namen Roeder und Hofmann voneinander unterschieden – eine Antwort auf diese Frage muss heute spekulativ bleiben, obwohl es insbesondere nach dem Erscheinen des SPIEGEL-Artikels vier Monate zuvor eine plausible Erklärung geben mag.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 214/2015
WER entwirft solch raffinierte Konstrukte? Die Glashüttener Politiker? Oder ist Roeder beteiligt? Was ist denn die spekulative, doch plausible Antwort und Erklärung Bergs – nachdem sie immer wieder betont, dass Roeders Vergangenheit niemanden interessierte und auch nicht bekannt gewesen sei? Sie formuliert sie nicht, somit zuckt der Leser mit den Achseln und liest weiter. Die Antwort lautet: Es war nicht abzuschätzen, welchen „Schaden“ die Veröffentlichungen für Roeders Ruf haben würden. Also wurde ein Versuch mit Hintertür gestartet – war Roeder noch in der Gemeindepolitik zu halten oder nicht mehr? Roeder war tragbar – er wurde mit fünf gegen vier Stimmen in den Gemeindevorstand gewählt. Er wurde Erster Beigeordneter – zumindest bis am 6. Januar 1971 diese Kommunalwahl durch einen Bürger Glashüttens angefochten und dann gerichtlich für ungültig erklärt wurde.
Die Merkwürdigkeiten um die Wahl erregen kaum Aufsehen, wie Frau Berg betont – „ein Hinweis mehr auf die Tatsache, dass die damalige Zeit kein Interesse an der Vergangenheit des Manfred Roeder hatte.Es ist sogar wahrscheinlich, dass der SPIEGEL-Artikel nicht einmal von den örtlichen Berichterstattern gelesen worden war.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 215
Bürgermeister Gottschalk hätte sich nach der Anfrage des Landrates jedenfalls informieren MÜSSEN. Warum hat er das nicht getan? Wir erfahren es nicht.
Auch die örtliche Presse bleibt seltsam lethargisch. Was ist da los? Immerhin aber ist die Wahlbeteiligung extrem niedrig, ein Bürger Glashüttens klagt sogar gegen die Wahl – GANZ ohne Aufsehen scheint dies also nicht abgelaufen sein.
„Erst mit Beginn der 80er Jahre werden weitere Untersuchungen publiziert, die … vorher … schwer zugänglich oder nicht freigegeben waren. Von keinem der Mitglieder des Gemeindevorstands ist bekannt, dass er sich einer Zusammenarbeit mit Manfred Roeder entziehen oder etwas dessen Legitimation anzweifeln wollte.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 215
Es ist „nicht bekannt“ bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Roeder ohne weiteres akzeptierten. Weitere Nachforschungen wären von Interesse.
Und wieder: ALLE sind verantwortlich für die Integration Roeders in die Glashüttener Politik – nicht nur der Bürgermeister. Kann man aber davon ausgehen, dass ein Bürgermeister gegen seinen Willen mit einem ihm nicht genehmen Beigeordneten zusammen arbeiten MUSS?
Manfred Roeder und seine Aufgaben als Erster Beigeordneter (Seite 215)
Roeder erhält am 6.12 1968 eine Ernennungsurkunde als Erster Beigeordneter, genannter Beruf ist „Generalrichter a. D.“. Er ist der einzige Jurist im Gemeindevorstand, in der Gemeindevertretung ist jedoch auch ein Rechtsanwalt. Roeders wichtigste Aufgabe sind Beratungen und Entscheidungen des Gemeindevorstands. Zusätzlich dazu hat er offiziell den Bürgermeister zu vertreten, wenn dieser krank oder im Urlaub ist. Eine Position „stellvertretender Bürgermeister“ oder „Vize-Bürgermeister“ gibt es in der HGO nicht, stellt Frau Berg klar. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 215
In Glashütten gibt es als Besonderheit KEINEN Posten des „stellvertretenden Bürgermeister“. Trotzdem muss der Bürgermeister vertreten werden – Roeder übernimmt weiterhin den Job. „Erster Beigeordneter“ nennt sich das – dem Bürgermeister zur Seite gestellt. Frau Berg dient die Nennung Roeders als „stellvertretender Bürgermeister“ dazu, den Film „Verräterkinder“ als unsauber recherchiert darzustellen. Dass Roeder tatsächlich den Bürgermeister vertritt ist hier für sie unerheblich, wichtig ist ihr nur der Wortlaut der HGO. Der Schlusssatz ihres Aufsatzes stellt Weisenborns Film als unwahr dar.
27.2.1969 bis 23.4.1971 – Roeders Wirken und die Anerkennung, die er erhält (u.a. durch den Bürgermeister und den Richter des Amtsgerichts Königsteins). HTK-Jahrbuch 2018; Seite 216/217
Manfred Roeder scheint allseits beliebt gewesen zu sein… Gab es auch andere Stimmen?
9.5.1971 Neuwahl des Gemeindeparlaments, es gibt drei Listen. Roeder wird für die Neuwahl des Gemeindevorstands nicht wieder aufgestellt.
„Manfred Roeder stirbt am 18.10.1971. Im Amtsblatt … erscheint ein ehrender Nachruf… Heinrich Grosse konstatiert in seinem Bericht 2003: „Der ehemalige NS-Generalrichter Manfred Roeder war in der Nachkriegszeit kein isolierter Außenseiter. Im Gegenteil: Er konnte eher mit Zustimmung als mit gesellschaftlicher Ablehnung rechnen. Denn seine Sicht der Frauen und Männer des 20. Juli und der »Roten Kapelle« als »Verräter« entsprach einer weitverbreiteten Meinung in der deutschen Bevölkerung nach 1945.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 217/2018
Grosse derartig ausschnittsweise zu zitieren ist empörend. Der Eindruck entsteht, dass Grosse Roeder POSITIV beschrieben hätte – was er keineswegs tat. Grosse schreibt nämlich weiter: „Außenseiter in der Nachkriegsgesellschaft waren diejenigen, die an der Aufdeckung der Wahrheit über den Widerstand gegen das NS-Regime, über Opfer und Täter interessiert waren. Was der Vater des am 22.12.1942 hingerichteten Harro Schulze-Boysen im Blick auf das »Rote-Kapelle«-Verfahren feststellte, galt nicht nur für diesen Prozess, sondern in gewisser Weise für alle Verfahren gegen Widerstandskämpfer und die Rolle der daran mitwirkenden NS- Juristen: »Die volle Wahrheit über den Gang der Verschwörung und des Prozesses wird wohl nie an den Tag kommen, denn diejenigen, die sie wirklich kennen, starben den Henkerstod. . . . Zur Aufdeckung der Wahrheit ist der ehemalige Generalrichter der Luftwaffe Dr. Manfred Roeder ganz besonders ungeeignet, schon grundsätzlich, da er „Partei“ war in dem Prozeß und daher heute wie damals bemüht sein muß, die Menschen, die er damals an den Strang liefern half, in ein schlechtes Licht zu rücken.«
War der Beigeordnete Manfred Roeder Mitglied der CDU, wie behauptet und als selbstverständlich angenommen wird?
„Roeder war kein Mitglied der NSDAP gewesen. … Bei seiner Vernehmung am 15.1.1947 führte er aus: „Ich vertrat die Auffassung, dass (ein) Richter nicht Partei sein kann“ (Zitat Grosse). Das wird seine Grundeinstellung auch in den späteren Jahren gewesen sein. Für seine ehrenamtliche Tätigkeit im Gemeindevorstand war keine Parteizugehörigkeit erforderlich…“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 218
An sich ein ehrenhaftes Motto, es bestimmte jedoch nicht Roeders Tun. Berg verschweigt, dass Roeder Mitglied in anderen NS-Organisationen war. Sie lässt aus, was Grosse weiter schrieb:“… Roeder verschwieg, dass er im Mai 1933 dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) und im November 1933 der SA beigetreten war.“
Sie hebt aber weiter hervor, dass Roeder ehrenamtlich wirkte – also ein ehrenhafter Mann?
„Ganz sicher hat er der örtlichen CDU nahegestanden, allerdings gab es zur Zeit der Listenaufstellungen für die Gemeindewahlen 1964 und 1968 noch keinen CDU-Ortsverband, und mögliche Parteizugehörigkeiten der zu Wählenden wurden nicht öffentlich und/oder schriftlich genannt…“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 218
Berg berichtet hier SEHR ausführlich, ob und warum Roeder nicht im „CDU-Ortsverband“ gewesen sein kann. Ist es ausserdem wahrscheinlich, dass in einem kleinen Dorf niemand weiß, welcher Partei die agierenden Politiker angehören? Für eine Bewertung, warum ehemalige Blutjuristen in einer Gemeinde geachtet leben und wirken können, ist eine fragliche Parteizugehörigkeit zur CDU völlig unerheblich. WAS also soll dem Leser hier vermittelt werden?
Der Schlusssatz macht es deutlich – diese „Informationen“ dienen dazu, den Film „Verräterkinder“ abzuwerten. Im Film wird nämlich von einer „CDU-Zugehörigkeit“ Roeders gesprochen.
Beurteilung durch Zeitzeugen (Seite 2018)
Berg berichtet, dass einige wenige der noch lebenden Mitglieder der damaligen Gemeindevertretung oder des Gemeindevorstandes ihr auf Befragung Auskunft gaben, dass „Roeder kein Thema war“.
„Andere hatten sich wohl über die SPIEGEL-Veröffentlichung 1968 informiert, wussten aber auch, dass Feindkontakte während eines Krieges auch in anderen westlichen Ländern und den USA Landesverrat darstellten, der mit dem Tode bestraft wurde. (Bergs Fußnote: Insbesondere bezogen auf die Mitglieder der „Roten Kapelle“ Schulze-Boysen und Harnack.)“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 218
Berg wiederholt und verfestigt hier, dass die Todesurteile als gerechtfertigt und somit entschuldbar angesehen wurden, da es sich um Landesverrat handelte. Vordergründig zitiert sie zwar nur die Antworten der Befragten, aber sie widerspricht dieser Darstellung in keinster Weise und lässt sie so stehen. Und das im Jahr 2018, öffentlich im Jahrbuch des Hochtaunuskreises.
„Zwei frühere Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung haben Roeder als sachlich, kompetent, aber sehr zurückhaltend erlebt. Aussagen von vermeintlichen Zeitzeugen, die gesehen haben wollen, dass Manfred Roeder in Glashütten „immer“ mit Generalrichter zur Wiederverwendung“ unterschrieben habe, müssen wie manch andere Unterstellungen, bezogen insbesondere auf Bürgermeister Gottschalk, als unseriös zurückgewiesen werden.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 218/219
Hier weist Berg ausgewählte Zeitzeugen als „vermeintlich“ und „unseriös“ zurück. Auch Bürgermeister Gottschalk wird Schutz genommen.
Die Jahre danach
„Im Jahre 2016 wurde die Akte Rosenburg publiziert, … die FAZ berichtet. HTK-Jahrbuch 2018; Seite 219
Berg verdeutlicht abermals, wie spät erst das Bewusstsein erwacht – wie könnte also ein kleines Dorf wie Glashütten verantwortlich gemacht werden, sich die Gemeindevertreter nicht sorgfältiger ausgewählt zu haben?
„…es würde sich lohnen, den Anteil von Bürgermeister Gottschalk, dessen Amtszeit 1979 endete, noch ausführlicher zu beleuchten, als es in diesem Zusammenhang möglich war. Er erhält … am 23. März 1979 die Ehrenplakette des Hochtaunuskreises.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 219
Bürgermeister Gottschalk wird sogar geehrt – wer wollte ihn also für sein Engagement für Roeder anklagen? Ja, es würde sich tatsächlich lohnen, seinen Anteil ausführlicher zu beleuchten.
„Der ab dem Jahre 2014 im Fernsehen mehrfach ausgestrahlte Film „Verräterkinder“ formuliert in der kurzen Passage zum Thema folgenden Satz: „Die Bürger von Glashütten wählten ihn für die CDU zum stellvertretenden Bürgermeister“. Keine dieser Aussagen stimmt mit der Aktenlage überein.“ HTK-Jahrbuch 2018; Seite 219
Und DAS ist der Schlusssatz des Aufsatzes Ingrid Bergs über das Wirken Manfred Roeders, seine Vergangenheit, seine geschickten Bemühungen in der Glashüttener Kommunalpolitik und seinen Umgang mit der Wahrheit.
Die Aussagen des Filmes, mit dem ihre Recherchen begannen, welche dann schließlich zu diesem wissenschaftlich klingenden Aufsatz führten, „stimmen nicht mit der Aktenlage überein“. Gottschalk war hochangesehen, beliebt und geehrt, Roeder ein bescheidener Mann, der sich von Vergangenheit distanzierte, der ehrenamtlich arbeitete und auch spendete. Keiner wusste etwas, alle hatten andere Prioritäten.
…
Ich stelle nach sorgfältigem Lesen des Berg-Aufsatzes, des von Berg zitierten Grosser-Textes, vieler anderer Publikationen zu Roeder und seiner Fiktion der „Roten Kapelle“ fest:
Bergs Text ist lückenhaft.
Sie arbeitet mit Bruchstücken von Grosser-Zitaten. Dadurch entsteht ein falscher Eindruck von der Person Manfred Roeders.
Bestimmte Aspekte seiner Person werden hervorgehoben, andere vernachlässigt.
Der Aufsatz hat einen wissenschaftlichen Anspruch, der nicht erfüllt wird.
Berg ist gleichzeitig auch die Archivarin des Gemeindearchivs – wer Akten sehen möchte, erhält sie von ihr. Nach Protesten über die restriktive Handhabung dieser Möglichkeit zur Akteneinsicht wurde die Einsicht in die Akten deutlich erleichtert. Allerdings ist „ein Großteil der Akten noch unsortiert und daher nicht einsehbar“.
Die Tatsache, dass dieser Artikel unkritisch im Jahrbuch (!) des Hochtaunuskreises 2018 erschien (trotz Warnungen informierter Bürger), unterstreicht seine vermeintliche Wissenschaftlichkeit nochmals.
Man wird weiter forschen müssen, möchte man tasächlich ein objektives Bild über Roeder in Glashütten erhalten. Aus diesem Artikel von Berg erhält man es nicht.
Saskia Kewitz, im August 2019
[1]Ingrid Berg, „Kommunalpolitik mit NS-Vergangenheit? Manfred Roeder in Glashüttens Kommunalpolitik“, Jahrbuch Hochtaunuskreis 2018
[2]Manfred Roeder stirbt am 18.10.1971.
[3]Heinrich Grosse, „Ankläger von Widerstandskämpfern und Apologet des NS-Regimes nach 1945 – Kriegsgerichtsrat Manfred Roeder“
[4]Willi Winkler, „Das braune Netz – Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde „, Januar 2019 bei Rowohlt
[5]Heinrich Grosse, „Ankläger von Widerstandskämpfern und Apologet des NS-Regimes nach 1945 – Kriegsgerichtsrat Manfred Roeder“
- [6]Geertje Andresen, „Brutal und zynisch – Reichskriegsgericht– In den Prozessen gegen die „Rote Kapelle“ gibt es fast 50 Todesurteile, beantragt von Ankläger Manfred Roeder. Der NS-Jurist wird später nie zur Verantwortung gezogen“
[7]SPIEGEL, 08.07.1968, Nr. 28, „ptx ruft Moskau“ – https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45997502.html